Offener Brief an Jakob Augstein

Lieber Jakob Augstein,

ich habe schon oft mit großem Interesse ihre Kommentare im „Spiegel“ und im „Freitag“ gelesen und habe diese immer als eine Bereicherung für die Diskussionskultur und den Meinungsstreit in unserem Land empfunden.

Umso erstaunter ja bestürzt und auch verärgert bin ich über ihren Kommentar „Missvergnügen“ im Spiegel Nr. 52.

Ich habe die von Ihnen so scharf kritisierten Kundgebungen der Demonstration „Stahlhelm ab Herr Gauck“ am 13.12.2014 in Berlin mit moderiert. Ich bin seit gut 30 Jahren in der Friedensbewegung aktiv und war auch an der Vorbereitung dieser Demonstration beteiligt.

Die Titulierung der TeilnehmerInnen als „ ein trauriger Trupp von Mühsamen und Beladenen tanzte vor dem Schloss Bellevue an: Putin-Verehrer, Amerika- Hasser, Antisemiten, Reaktionäre und Verschwörungstheoretiker“ hat wirklich nichts mit der Realität dieser Demonstration zu tun. Es war mit mehr als 4.000 Menschen die größte Friedensdemonstration der letzten Jahre in Berlin, jung, dynamisch und bunt gemischt. Im positiven Sinne eine Friedensbewegungsdemonstration.

Die Aussagen auf den Kundgebungen dieser Demonstration entsprachen in keiner Weise ihren Worten (siehe oben) bzw. können nicht als „Querfront“ bezeichnet werden. Unter dem Beifall der Teilnehmerinnen und Teilnehmer habe ich zu Beginn noch einmal den Charakter unserer Demonstration und damit die Grundlagen der Arbeit und Zusammenarbeit in der Friedensbewegung dargestellt.

„Unsere Demonstration ist anti-faschistisch; ohne Wenn und Aber. Wir stehen in der Tradition des Schwurs von Buchenwald: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Wir lehnen jede Form des Rechtsradikalismus ab, wir arbeiten mit Rechtsradikalen nicht zusammen.

Wir demonstrieren hier gegen Krieg und Faschismus, gegen drohende Kriegsgefahr. Wir wollen keinen Rassismus in unserem Land, gleichgültig in welcher Form. Wir sind empört darüber, wie die sächsische Landesregierung mit einer Rassistenorganisation, dem PEGIDA-Bündnis, kooperiert. Auch hier muss eine klare Ansage kommen: Nicht in unserem Namen. Wir leisten Widerstand! Lasst es mich noch einmal ganz deutlich sagen: Wir sagen Nein zu Antisemitismus, neuen Rechten, Reichsbürgern, Rassismus, Nationalismus und Faschismus.“

Die Beiträge der Redner Pfarrer Sigfried Menthel (Initiator des Briefes von ostdeutschen Pfarrern an Bundespräsident Gauck) und Eugen Drewermann entsprachen genau diesem Charakter.

Beide übten scharfe Kritik an dem Bundespräsidenten und seinen militaristischen Äußerungen, sowie an der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Die kabarettistische Einlage von Reiner Kröhnert bereicherte die Kundgebung. Erwähnen möchte ich noch die beeindruckenden Grußworte von Daniela Dahn und dem ehemaligen Staatssekretär im Umweltministerium Michael Müller.

Ihre Reden können sie auf der Webseite nachverfolgen: http://friedenswinter.de/demos-13-12/berlin/

Sie waren kritisch, entsprachen aber in keiner Weise den in ihrem Artikel benutzten Titulierungen. Die vielfältigen Aktivitäten und Publikationen der beiden genannten Hauptredner sollten ihnen ja durchaus bekannt sein. Herr Drewermann ist ja zu mindestens dem Freitag kein ganz unbekannter.

Lieber Herr Augstein, der Vorwurf des „Antisemitismus/Antisemiten“ dürfte Ihnen ja nicht ganz unbekannt sein.

Um sich einen Eindruck von der Demonstration zu verschaffen, bitte ich Sie sich eines der folgenden Videos anzusehen:

https://www.youtube.com/watch?v=3SGQo7ez4mE, https://www.youtube.com/watch?v=BREcuuRAJ8g, https://www.youtube.com/watch?v=qaSWhjpeJSk

Die Bilder widersprechen grundsätzlich ihren Formulierungen. Ich bin sicher, dass sie keine TeilnehmerIn der Demonstration finden werden, die ihren Worten zustimmen wird. Die Atmosphäre der über 4000 war friedlich, engagiert, ja durchaus kämpferisch in dem Sinne, dass alle wussten, dass ein längeres Engagement für den Frieden notwendig ist, um die Kriegsgefahren in Europa und der Welt abzuwenden und zu beenden.

Die Realität der Demonstration war ein tiefer Friedenswille, ein Eintreten für Abrüstung und zivile Konfliktlösungen. Dass dabei auch die Auflösung der NATO gefordert wurde, ist nur logisch.

Ich möchte nicht noch mehr Details der Demonstration darstellen, aber eine generelle Bemerkung, die sich auf die Medienberichterstattungen der letzten Wochen bezieht, anschließen.

Mir scheint, weit über ihren Kommentar hinaus, ein Unwille zur kontroversen Diskussion vorzuliegen. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, bevor solch ein – meiner Meinung nach – diffamierender Kommentar veröffentlicht wird, mit den Organisatoren der Demonstration Kontakt aufzunehmen oder einer unserer Pressekonferenzen zu besuchen.

Mir ist das Gespräch und der Austausch wichtig, nur im Dialog kann versucht werden, schwer zueinander passende Positionen auszutauschen und davon zu lernen.

Ich würde Sie deshalb gerne zum Streitgespräch über die von Ihnen in Ihrem Artikel angesprochenen Aussagen einladen.

Zentral sollte dabei sicher die Herausforderung diskutiert werden, wie kann die Pegida, etc. zurückgedrängt und eine Stärkung der linken Kräfte (außerparlamentarisch und parlamentarisch) in unserem Lande erreicht werden. Dabei können wir dann sicher auch – kontrovers (wie auch in der Friedensbewegung) aber hoffentlich auch solidarisch –  über die „Montagsmahnwachen“, ihr Entwicklungen seit dem Frühjahr und ihre aktive Rolle im Kampf gegen und in der Aufklärung über Pediga (siehe die Enthüllungen der Springer Presse-Kontakte) diskutieren

Dieses öffentliche Streitgespräch könnte dann nicht nur bei uns sondern auch im Spiegel und Freitag breit kommuniziert werden und würde sicher einen Beitrag zur Meinungsbildung und zur Streitkultur, besonders aber zur Notwendigkeit von Aktionen gegen rechte Rattenfänger und für den Frieden leisten.

Ich freue mich auf ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Reiner Braun

Geschäftsführer der IALANA, Co-Sprecher der “Kooperation für den Frieden“, aktiv am Friedenswinter 2014/2015 beteiligt

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