Bochum
Rede von Susanne Grabenhorst

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Uns alle, die wir heute nach Bochum gekommen sind, beschäftigt eine gemeinsame Sorge: Krieg liegt in der Luft!
In der Ukraine, in Syrien und im Irak eskalieren Staaten und nicht-staatliche Gruppen die Konflikte.
In Deutschland wird von „gewachsener Verantwortung in der Welt“ gesprochen und gemeint sind Militarisierung und Waffenexporte.
Wir aber sind hier, um zu widersprechen, mit lauter Stimme, und um zu zeigen, dass Verantwortung für den Frieden etwas anderes meint: Nämlich Verantwortung für zivile und diplomatische Lösungen der zugrunde liegenden Konflikte!
Als Vertreterin der Internationalen Ärzte und Ärztinnen für die Verhütung des Atomkriegs, die 1985 im Kalten Krieg für ihre blockübergreifende Friedens- und Versöhnungsarbeit den Friedensnobelpreis bekommen hat, konzentriere ich mich in meinem Beitrag auf die oft verdrängte nukleare Dimension des Ukraine-Konflikts.
90 % der Atomwaffen sind in der Hand der beiden Atomwaffenstaaten Russland und USA.
Und die haben aufgehört, konstruktiv über Abrüstung zu verhandeln. Stattdessen verharren sie in ihren atompolitischen Festungen und versuchen eine Modernisierung ihrer Schreckens-Arsenale durchzusetzen.

Der Wink mit dem Atomzaunpfahl spielt aktuell eine Rolle bei den Drohgebärden im Ukrainekonflikt:
Russische Entscheidungsträger verweisen bei ihren Warnungen an den Westen auf das Atomwaffenpotential Russlands. Und in der NATO gibt es konkrete Forderungen aus Polen und den baltischen Staaten, das zu stationierende NATO-Raketenabwehrsystem auch gegen Russland zu richten. Die USA unterstützen diese Forderungen. Raketenabwehr bedeutet, wie wir wissen, vor allem: Schutz vor dem Zweitschlag, was in der verqueren Militärlogik den eigenen Erstschlag denkbar macht.

Die IPPNW sieht durchaus die Gefahr, dass sich der Ukrainekrieg zu einem atomaren Ost-West-Konflikt entwickelt. Gegen diese Gefahr müssen alle Staaten tätig werden, denn die humanitären Folgen von Atomwaffen sind katastrophal. Es gibt eine Untersuchung der IPPNW, in der die Folgen eines „begrenzten“ atomaren Schlagabtausches untersucht wurden. Begrenzt meint: nur 50 indische und 50 pakistanische Atomwaffen von der Stärke der Hiroshima-Bombe. (zur Einordnung: das wären weniger als 1% der Atomsprengköpfe weltweit.) Der in Asien geführte Atomkrieg hätte eine globale Hungersnot zur Folge, die zwei Milliarden Menschen das Leben kosten könnte. Riesige Rußwolken würden zu sinkenden Temperaturen und reduzierten Niederschlägen führen. Es käme zu massiven Ernteverlusten, weltweiter Nahrungsmittelknappheit und Preiserhöhungen. Dies würde insbesondere schon jetzt arme und hungernde Menschen treffen.
Auch die Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen in Europa wären katastrophal – und da ist es unerheblich, ob der Druck auf den roten Knopf von Russland oder den USA beabsichtigt wäre oder ein Fehlalarm, ob menschliches Versagen oder technisches Versagen die Ursache wäre.
Die Zeit ist reif, die Ächtung und die Abschaffung von Atomwaffen auf die politische Tagesordnung zu setzen. So wie es für Chemiewaffen und biologische Waffen internationale Verträge zum Verbot des Einsatzes gibt, fordern wir einen Vertrag, der Atomwaffen ächtet, verbietet und letztlich abschafft.
Unser Nachbarland Österreich hat am letzten Wochenende auf einer Staatenkonferenz in Wien, an der 158 Staaten teilgenommen haben, die vertragliche Ächtung von Atomwaffen gefordert. Deutschland dagegen stellte sich auf die Seite von Staaten wie den USA und Großbritannien, die an ihren Atomwaffen festhalten wollen, weil sie eine unverzichtbare strategische Bedeutung hätten.
Deutschland hat sich im Grundgesetz zum Frieden verpflichtet und sich zur Wahrung der unveräußerlichen Menschenrechte bekannt.
Jetzt kann und muss die Bundesregierung zeigen, dass sie die humanitären Aspekte, also das was uns Menschen, uns Bürgerinnen und Bürger direkt betrifft, bei der Frage der Abrüstung von Atomwaffen in das Zentrum ihres politischen Handeln stellt.

Wir Friedensbewegte hier in Bochum, fordern die Regierung und Frau Merkel auf: Schließen Sie sich der österreichischen Initiative für einen Vertrag zur Ächtung von Atomwaffen an!

Und stoppen Sie die Eskalationsdynamik im Ukraine-Konflikt – bevor sie nicht mehr kontrollierbar ist!
Auch jetzt, 25 Jahre nach dem Mauerfall fehlen direkte Krisenreaktionsmechanismen zwischen der NATO und Russland. Setzen Sie sich bei Präsident Obama dafür ein, dass die informellen Kommunikationskanäle zwischen der NATO und Russland geöffnet und fieberhaft genutzt werden, um effektiv nuklear abzurüsten. Nuklearer Machtpoker darf einer Konfliktlösung nicht im Wege zu stehen – nicht in der Ukraine und nirgendwo.

Noch eine persönliche Bemerkung zum Schluss. In meiner psychotherapeutischen Praxis bin ich ständig dabei, seelische Wunden durch Krieg zu behandeln. Ich will die nächsten Jahrzehnte nicht damit beschäftigt sein, neue Wunden durch neue Kriege zu behandeln. Ich will Prävention. Ich will Vorbeugung durch Kriegsverhinderung.
Ich will „Nie wieder Krieg!“

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