Predigt für Sonntag, 9. November in St. Magnus (Murg)
von Wiltrud Rösch-Metzler (pax christi-Bundesvorsitzende)

Der 13. andere Gottesdienst „Caminando va – feiern und teilen“: Befreit zum Widerstehen

der ökumenischen Initiative der katholischen Seelsorgeeinheit Murg und der evangelischen Kirchengemeinde Murg/Rickenbach/Herrischried

Schriftlesung: 2 Tim 1, 6 – 7

6 Darum bitte ich dich: Lass die geistliche Gabe voll in dir wirksam werden, die Gott dir schenkte, als ich dir die Hände auflegte. 7   Denn Gott hat uns seinen Heiligen Geist nicht gegeben, dass wir das Feuer nur ängstlich hüten, sondern dass wir – in aller Klugheit und Besonnenheit – seine Kraft und Liebe überall hell entfachen.

 

Liebe Gottesdienst-Gemeinde,

liebe Friedensbewegte,

Seit 14 Jahren bin ich Mitglied im Gesprächsforum Ökumenische FriedensDekade, in dem Friedensorganisationen und Kirchen zusammenarbeiten. Jedes Jahr legen wir das Motto für die bundesweite zehntägige FriedensDekade fest. In diesem Jahr heißt das Motto „Befreit zum Widerstehen.“ (Als Bibelstelle haben wir Timotheus ausgewählt: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist des Verzagens gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“)

Dieses Motto passt zum heutigen Tag, dem 9. November. Vor 25 Jahren fiel die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland. Bürgerinnen und Bürger hatten zuvor friedlich gegen die Unfreiheit in ihrem Staat DDR protestiert. Wer sich damals den Demonstranten anschloss, tat dies mit bangem Herzen und ohne zu wissen, was ihn erwartete. Alles blieb friedlich. Die staatlichen Sicherheitskräfte reagierten letztendlich ohne Gewalt.

In unserer deutschen Geschichte kennen wir neben dieser Sternstunde aber auch Feigheit, Versagen und Gewalt. Wenn wir an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 erinnern, denken wir auch daran, wie damals Mut gefehlt hatte. Nur wenige haben unter der NS-Herrschaft widerstanden. Erna Döberle aus Murg war eine solche Ausnahme.

Das nächste Ereignis, das wir in diesem Jahr berücksichtigen wollten, ist der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Welche Lehren ziehen wir heute aus diesem Krieg? Egal ob man die Deutschen und andere aus heutiger Sicht als Schlafwandler sieht oder als Menschen, die einen Krieg wollten, wir müssen uns heute damit auseinandersetzen, dass der Widerstand gegen die Kriegsvorbereitungen sich nicht durchsetzen konnte. Wer gegen diesen Krieg war, wurde weder von seiner Kirche noch von seinen Politikern gehört. Die damaligen Staaten behaupteten sich weltweit vor allem über ihre Kriegsfähigkeit. Und Militärs bestimmten die Spielräume der Politik. Das Militärische verband auch die Gesellschaft. Man sah die Nation vereint und in Waffen. Es gab eine Flut von Rechtfertigungsschriften von Theologen, Historikern und anderen Wissenschaftlern. Warum versagte das Prinzip, einer nach innen und außen gerichteten Friedensordnung zu vertrauen? fragt heute der Historiker Jörn Leonhard.

Schließlich gab es 1914 auch die andere Seite, die Seite der Pazifisten und der Warner. Der Journalist Arthur Bernstein hatte für die Berliner Morgenpost vom 31. Juli 1914 geschrieben. „Die Kriegshetzer verrechnen sich“, schrieb er. Es werde keinen Dreibund mit Italien geben. England werde nicht neutral bleiben, sondern Frankreich beistehen und auch nicht dulden, dass deutsche Heeresteile durch Belgien marschieren, was ein seit 1907 allgemein bekannter strategischer Plan war. Amerika werde dann ebenfalls gegen Deutschland auftreten. Österreich-Ungarn sei militärisch kaum den Serben und Rumänen gewachsen. Wirtschaftlich könne es sich gerade mal drei bis fünf Jahre selbst durchhungern. Und eine Revolution in Russland komme höchstens dann, wenn die Russen unterlegen seien. Dieser Artikel wurde nicht gedruckt, weil an jenem Tag ein anderer, über die Mobilmachung, der Redaktion wichtiger war. Er wurde erst während des Krieges als Bleisatz wieder entdeckt. Wichtig ist es zu sehen, dass es solche kritischen Stimmen gab. Die militärischen und politischen Kriegsplaner blendeten diese jedoch aus.

Vielleicht begreifen wir jetzt allmählich, 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, was es mit diesem Krieg mit 16 Millionen Toten auf sich hatte, wem er diente und was wir heute daraus lernen können, z.B. in Europa mehr aufeinander Acht zu geben. Dazu muss man nicht erst in einer Grenzregion leben, wie Sie in Murg, das kann man auch z.B. in Stuttgart, wo ich lebe.

Wir haben in diesem Jahr auch des 75. Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkriegs gedacht, eines Krieges mit noch mehr Toten, 60 bis 70 Millionen. Auch gegen diesen Krieg gab es Widerständler und Widerständlerinnen. Viele von ihnen schöpften auch aus ihrem christlichen Glauben. Er gab ihnen Kraft zu widerstehen.

Widerstand ist kein Thema nur für den Geschichtsunterricht. Im Magazin der FriedensDekade stellen wir mutige widerständige Menschen von heute vor, Menschen, die Felder von gentechnischen Pflanzen befreien, die weg geworfene Lebensmittel retten, die den Bau von Großschlächtereien verhindern oder gegen Atomwaffen fasten. Diese Menschen hüten ihr Feuer nicht ängstlich, um das Bild aus dem Timotheusbrief aufzugreifen.

Ängstlichkeit überfällt aber manche angesichts der derzeitigen Kriege in der Welt. Plötzlich sehen wir uns wieder einem neuen Feindbild Russland gegenüber, statt an Gorbatschows Vision eines gemeinsamen Hauses Europa zu bauen. Schon fordern Politiker auch bei uns mehr Ausgaben für Rüstung.

Ein anderer Konfliktherd ist der Nahe Osten. Seit Jahrzehnten gibt es nicht genügend Einsatz des Westens, um den Israel/Palästina Konflikt zu überwinden. Nach dem Gaza-Krieg in diesem Sommer soll nun wieder alles so weitergehen wie bisher: ein wenig humanitäre Hilfe für die Palästinenser aber keine Freiheit.

Mit den internationalen und lokalen IS-Milizen im Irak und in Syrien ist ein neuer und brutaler Akteur aufgetaucht, der nun in einem langen Krieg bekämpft werden soll, statt dass man an die politischen Ursachen für dessen Entstehung gehen würde.

Nicht Verzweiflung soll uns leiten sondern Besonnenheit, rät uns der Schrifttext. Es gibt einen Aufruf von Friedensorganisationen, in diesem Winter wieder aktiv zu werden, beispielweise Friedens- oder Pace-Fahnen aus den Fenstern zu hängen. Der Friedenswinter 2014/2015 soll sichtbar machen, dass wir Frieden und Überwindung von Gewalt überall auf der Welt wollen und durch eine umfassende Abrüstung eine Welt ohne Waffen schaffen wollen. Konflikte müssen zivil gelöst werden über Dialog, Verhandlungen und eine Politik der Gemeinsamen Sicherheit. Unsere Friedensordnung mit UNO und OSZE muss gestärkt werden.

Im Aufruf zum Friedenswinter heißt es: „Der Weg der Konfrontation und der Gewalt, des Hasses und der Vernichtung muss überwunden werden – gerade als Lehre aus zwei Weltkriegen und Faschismus. Wir brauchen die 1,35 Billionen Euro, die jedes Jahr für Rüstung ausgegeben werden, für die Überwindung von Hunger und Armut, für Ökologie und Bildung. Die globalen Herausforderungen, die uns und unseren Planeten Erde bedrohen, sind ohne Abrüstung, ohne Frieden nicht zu bewältigen.“

Wer sich auf den Weg macht und widersteht, braucht eine Kraftquelle. Sie wissen das durch Ihr eigenes Engagement. Es ist gut, auf diesem Weg nicht allein zu sein und es ist klug sich mit der Anleitung des Timotheusbriefes auf den Weg zu machen: „Denn Gott hat uns seinen Heiligen Geist nicht gegeben, dass wir das Feuer nur ängstlich hüten, sondern dass wir – in aller Klugheit und Besonnenheit – seine Kraft und Liebe überall hell entfachen.“

Amen.

Download: FD_gottesdienst_Predigt

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