Liebe Leserin, lieber Leser,
Nun ist es also heraus: Auch ich gehöre zu den „Verschwörungstheoretikern“ und „Querfrontlern“, die im Friedenswinter 2014/15 auf die Straße gehen. So beschreiben es jedenfalls die Kommentatoren wichtiger Tageszeitungen wie der „Frankfurter Rundschau“, des Berliner „Tagesspiegels“ und der „Zeit“. Auf meinem Facebook- und Twitter-Account finden sich seither seltsame Einträge von Leuten, die ich schon lange nicht mehr oder noch nie auf einer Friedensdemo gesehen habe, zum Beispiel: „Linke die mit Nazis gemeinsame Sache machen, schaffen die Grundlage für Krieg und Zerstörung“ oder „Liebe Kathrin, leider scheints Du die DFG-VK Zeiten vergessen zu haben und begibts dich zumindest in fragwürdige Gesellschaft“ (Fehler im Original).
Diese Vorwürfe erscheinen mir doch so schwerwiegend, dass ich dazu hier erklären möchte, warum ich den Friedenswinter aktiv unterstütze. Ganz eindeutig: Mit Nazis, mit antisemitischen und rassistischen Demonstrantinnen und Demonstranten jeder Couleur kann es keine gemeinsame Friedensposition und schon gar keine gemeinsame Aktionsorientierung geben. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass organisierte Rechte immer wieder versuchen, Friedensaktionen für sich zu instrumentalisieren, und dagegen leiste ich entschieden Widerstand. Die Aufrufe zum Friedenswinter waren hier eindeutig: Klar antifaschistisch und antimilitaristisch. Und die TeilnehmerInnen etwa der Friedensdemo in Bochum waren dies, soweit erkennbar, auch. Natürlich können wir nicht bei allen, die an einer Demo teilnehmen, eine Gesinnungsprüfung veranstalten, das wäre ja absurd.
Aus gegebenem Anlass will ich noch einmal daran erinnern: Nach den KommunistInnen waren 1933 die PazifistInnen die ersten, die in die Gestapo-Kerker und KZ verschleppt wurden und viele kamen daraus nicht unversehrt heraus. Ich sehe mich in der Tradition von Pazifisten und Antimilitaristen wie Hans Paasche, der 1920 von rechten Reichswehroffizieren erschossen wurde, von Karl Liebknecht, ebenfalls von einer rechten Soldateska ermordet, von Carl von Ossietzky, der an den Folgen der KZ-Haft starb und von Martin Niemöller, dem „persönlichen Gefangenen des Führers“, der in der Hochphase des Kalten Kriegs nach Moskau reiste, um für Versöhnung zu werben. Diese Tradition duldet keine Zweideutigkeit in der Ablehnung von Faschismus.
Wir erleben zurzeit Seltsames. Menschen, die für Frieden, gegen Rüstung und für Versöhnung auf die Straße gehen, werden von meinungsführenden Medien zuhauf mit Hohn und Spott, mit Verleumdungen und Unterstellungen überzogen. Auf der anderen Seite wird jenen, die gegen eine angebliche „Islamisierung des Abendlands“, unter aktiver Beteiligung von Neonazis und Rechtspopulisten, die Straßen bevölkern, im politischen und medialen Mainstream zunehmend „Verständnis“ für ihre „Sorgen“ entgegengebracht. Mich macht das fassungslos und wütend. Und ich weiß genau, auf wessen Seite ich in diesem Moment gehöre.
Leider gibt es viele Hinweise, dass wir uns in einer Vorkriegssituation befinden. Ein Signal dafür ist die massive Zunahme dessen, was wir in der zivilen Konfliktbearbeitung als „Hate Speech“, Sprache des Hasses, bezeichnen. Man muss nur einmal die Kommentarspalten der Tagesmedien aufschlagen. Die Verunglimpfung von Friedensprotesten, die in ihrem Kern (wenn auch nicht in jedem einzelnen Kopf) antimilitaristisch und pazifistisch sind, hat in Deutschland blutige Tradition. Immer waren wir die „Vaterlandsverräter“, die „Kollaborateure“ oder die „Fünfte Kolonne“ und auch heute soll der Pazifismus wieder aus dem demokratischen Spektrum ausgegrenzt werden. Was weh tut, ist, wenn die eigenen Freundinnen und Freunde oder die, die wir dafür gehalten hatten, solcherlei „Hate Speech“ willig aufgreifen und weiterverbreiten. Trotzdem: ich werbe weiter dafür, Herz und Kopf gemeinsam zu benutzen und sich ein eigenes Bild zu machen. Ich habe die Zusammenarbeit mit alten wie neuen Freundinnen und Freunden im Friedenswinter bisher als bereichernd empfunden. Nazis habe ich keine entdeckt. Und wenn sie aufgelaufen wären, dann hätten wir sie gemeinsam des Platzes verwiesen. Ich wünsche mir, dass 2015 noch mehr Menschen für den Frieden auf die Straße gehen und dass wir am 9. Mai in Berlin ein eindrucksvolles Zeichen gegen Faschismus und Krieg setzen. Kommt alle mit!
Ich wünsche euch geruhsame Feiertage und ein friedliches Neues Jahr. Und das meine ich auch so.
Alles Liebe
Eure Kathrin